In der Krankengeschichte steht Ihr Innerstes.
Manchmal liegt dieses Innerste bei verschiedenen Ärzten: dem Hausarzt, einem Hals-Nasen-Ohrenarzt, vielleicht einem plastischen Chirurgen oder einem Dermatologen.
Dann betrifft es auch Ihr Äusserstes.
Ärzte hüten Ihre Geheimnisse.
Das Gesetz schreibt vor, zehn Jahre lang.
Vielen Ärzten kommt es nicht in den Sinn, die wichtigen Informationen nach zehn Jahren tatsächlich zu zerstören.
Sie lagern sie bis zum Ende der Praxistätigkeit und darüber hinaus, falls sie die Praxis weitergeben.
Manchmal erhalten die Patienten auch eine Anfrage, ob Sie die Unterlagen zu sich nehmen möchten.
Denn die Krankengeschichte gehört eigentlich Ihnen.
Private Kliniken senden nach Abschluss einer Behandlung die Dokumentation an den Belegarzt.
Nicht so öffentliche Spitäler.
Man behauptet, die Unterlagen gehörten dem Spital.
Auf den ersten Blick ist das nicht problematisch, denn Patienten können eine Kopie der Krankengeschichte anfordern.
Doch jetzt kommt eine Patientin, die ich vor zehn Jahren wegen einer seltenen Krankheit behandelt hatte.
Die Frau war damals so jung, dass sie noch keinen Hausarzt brauchte und auch selbst nicht daran dachte, die Berichte bei sich zu lagern.
So war meine Krankengeschichte der einzige Ort, wo Diagnose, Operationsbericht, mikroskopischer Befund, Allergien und vieles mehr festgehalten war.
Als wir die Unterlagen anfordern wollten, mussten wir hören, sie seien zerstört.
Es sei mehr als zehn Jahre her.
Das ist zwar gesetzeskonform, aber ärgerlich, gedankenlos und gefährlich.
Und die Moral von der Geschichte?
Verlangen Sie sich von Ihrer Krankengeschichte in regelmässigen Abständen eine detaillierte Zusammenfassung inklusive Untersuchungsresultate und Operationsberichte.
Erfolgreiche zwischenmenschliche Beziehungen sind getragen von Vertrauen.
Das ist bei der Patienten-Arzt Beziehung nicht anders als in der Familie, bei Freunden oder bei der Arbeit.
Doch die Patienten-Arzt Beziehung ist ein Sonderfall.
Sie suchen einen Arzt auf, wenn es Ihnen schlecht geht, wenn Sie verletzlich sind, wenn Sie sich selbst nicht mehr zu helfen wissen.
Genau dann müssen Sie das Vertrauen haben können, dass der Arzt für Sie das Beste will.
Die Kunst der ärztlichen Tätigkeit besteht darin, aus komplexen Symptomen die richtige Diagnose herauszufiltern.
Dafür stehen modernste objektive Verfahren zur Verfügung: molekulare Labordiagnostik, dynamische Magnetresonanz.
Aber was wo eingesetzt wird, liegt immer in der subjektiven Einschätzung des Arztes.
Diese basiert entscheidend darauf, welche Details Sie im Vertrauen erzählen, auch wenn sie Ihnen unter Umständgen sogar peinlich sind.
Oder was Sie nonverbal von sich preisgeben, wenn Sie sich ernst genommen fühlen.
Und schliesslich was der Arzt von Ihnen weiss, weil Sie schon seit Jahren sein Patient sind.
Es gibt Kräfte in unserer Gesellschaft, die die freie Arztwahl abschaffen möchten.
Man ist der Ansicht, es werde billiger, wenn der "lästige" Aspekt der Patientenautonomie wegfalle.
Aus meiner Sicht ist das ein Rückschritt in die Zeit, als der Arzt bestimmen konnte, was zu tun war, ohne auf die Bedürfnisse des Menschen hinter der Krankheit Rücksicht nehmen zu müssen.
Der Patient wird durch die Abschaffung der freien Arztwahl zum Objekt der Gesundheitspolitik.
Der zynischste Aspekt dabei ist, dass der Arzt dafür finanziell belohnt werden soll, Leistungen vorzuenthalten.
Wenn der Patient sie trotzdem will, muss er sich die freie Arztwahl mit einer zusätzlichen Versicherungsprämie erkaufen.
Somit wird das Recht auf Vertrauen von der Wirtschaftskraft der Betroffenen abhängig gemacht.
Das jedoch widerspricht unserer medizinischen Ethik.